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Tierartzhaftung Pferderecht

 

Grober Behandlungsfehler – gilt Beweislastumkehr auch für Tierärzte?

BGH, Urteil vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15

Sachverhalt:

Die Klägerin war am 08.07.2010 mit ihrem Pferd beim beklagten Tierarzt vorstellig, nachdem sie an der Innenseite des rechten hinteren Beins eine Wunde entdeckt hatte. Der Beklagte versorgte die Verletzung und gab die Anweisung, das Pferd müsse zwei Tage geschont werden, könne aber dann wieder geritten werden, soweit keine Schwellung im Wundbereich eintrete. Am 11.07.2010 wurde das Pferd dann geritten, wobei der Klägerin Taktunreinheiten im Bereich des verletzten Beines auffielen. Das Reiten wurde daraufhin eingestellt. Am 14.07.2010 brach das Pferd sich beim Aufstehen das Bein. Eine Operation gelang nicht und das Pferd musste eingeschläfert werden.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 114.146,41 Euro Schadensersatz sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Sie begründete ihre Klage damit, dass die am 08.07.2010 behandelte Verletzung durch den Schlag einer Stute verursacht worden sei und dieser zu einer Fissur des darunterliegenden Knochens geführt habe. Innerhalb der nächsten Tage habe sich die Fissur zu der am 14.07.2010 diagnostizierten Fraktur entwickelt. Der Beklagte habe behandlungsfehlerhaft auf eine Lahmheits- und Röntgenuntersuchung des Pferdes verzichtet. Dabei hätte die Fissur erkannt werden können.

Das LG Osnabrück und das OLG Oldenburg erklärten den auf Schadensersatz und darüber hinausgehende Rechtsanwaltskosten gerichteten Klageantrag für gerechtfertigt. Der Beklagte legte Revision ein.

 

Entscheidung:

Unterläuft einem Tierarzt a ein grober Behandlungsfehler, darf die Beweislastumkehr, die bereits auch in der Humanmedizin gilt zugunsten des geschädigten Tierhalters angewendet werden.

Das angefochtene Urteil hat im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung standgehalten. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz zu.

Da nicht geklärt werden konnte, ob es an dem Behandlungsfehler lag, dass sich das Pferd beim Aufstehen das Bein brach, war die zentrale Frage, wer den Beweis hinsichtlich der Kausalität erbringen muss. Normalerweise trägt die Klägerin die Beweislast. Folgte man vorliegend dieser Regel, hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Schadensersatz, da der Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Fraktur nicht festgestellt werden konnte.

Die Vorinstanz habe jedoch zurecht eine Beweislastumkehr zu Gunsten der Klägerin wegen eines groben Verstoßes gegen die Pflichten aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag festgestellt. Der Grundsatz über die Beweislastumkehr aus der Humanmedizin findet entsprechende Anwendung.

Im humanmedizinischen Bereich führe ein grober Behandlungsfehler, der geeignet sei, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast. Dies ergebe sich daraus, dass die nachträgliche Aufklärbarkeit des tatsächlichen Geschehens wegen des besonderen Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in einer Weise erschwert sei, dass es dem Patienten nicht zugemutet werden könne, den vollen Kausalitätsnachweis zu erbringen.

Die gleiche Problematik der Aufklärungserschwernisse finde sich auch bei grob fehlerhaften tiermedizinischen Behandlungen. Mithin sei die Anwendbarkeit der Beweislastumkehr unter diesem Gesichtspunkt zu bejahen. Ebenso sei die Tätigkeit eines Tierarztes mit der medizinischen Behandlung durch einen Humanmediziner vergleichbar, soweit es um die Heilung und Erhaltung eines lebenden Organismus gehe.

Über die tatsächliche Höhe des Schadensersatzanspruchs muss nun das Landgericht Osnabrück entscheiden.

 

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp

Foto: Fotalia

Verletzung durch Pferdetritt

Verletzung durch Pferdetritt: Tierarzt trifft bei unsachgemäßem Annähern an ein Tier ein Mitverschulden

Tierarzt muss bei geringem Platz in Pferdebox mit Widerstand des Tiers rechnen!

Verletzt eine Stute einen Tierarzt, der ihr Fohlen behandeln will, kann dem Tierarzt ein – im konkreten Fall mit einem Anteil von ¼ zu bemessendes – Mitverschulden anzurechnen sein, weil er sich der Stute in einer erkennbar gefährlichen Situation unsachgemäß genähert hat und dann durch einen Tritt des Pferdes verletzt wurde. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamm und änderte damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Arnsberg teilweise ab.

Der Sachverhalt:

Der Kläger aus ist Tierarzt, der Beklagte aus Hobbypferdezüchter. Im April 2013 war der Beklagte Halter einer bisher ungerittenen Zuchtstute und ihres ca. drei Wochen alten Fohlens. Der Beklagte rief den Kläger wegen eines Notfalls zu Hilfe. Der Kläger sollte das an Durchfall erkrankte Fohlen im Reitstall des Beklagten ärztlich behandeln. Beim Eintreffen des Klägers befanden sich Stute und Fohlen in einer ca. 3,18 x 3,15 m großen Pferdebox. Der Beklagte hatte die Stute mit dem Kopf zur hinteren rechten Ecke gerichtet mit Halfter und Führstrick angebunden. Um das Fohlen zum Zwecke der Untersuchung und Behandlung von der Stute zu trennen, versuchte der Beklagte zunächst vergeblich, dem Jungtier einen Halfter über den Kopf zu streifen. Daraufhin begab sich der Kläger ca. 1 m weit in den vorderen Teil der Box, um das Fohlen von vorn am Kopf des Tieres zu fixieren. In diesem Moment drehte sich die Stute mit der Kruppe in Richtung Boxentür um und trat aus, wobei sie den Kläger am linken Oberschenkel traf und schwer verletzte. Der Kläger erlitt Frakturen, Muskel-, Kreuzband-, Gelenkkapsel- und Meniskusverletzungen, er musste operiert und stationär behandelt werden.

Das Urteil:

Der vom Kläger auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gegen den Beklagten erhobenen Klage gab das Oberlandesgericht Hamm unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von ¼ zulasten des Klägers statt.

Der Beklagte hafte aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung als Tierhalter, da sich in der Verletzung des Klägers die typische Tiergefahr realisiert habe.

Dem Kläger sei allerdings ein Mitverschulden mit einer Quote von ¼ anzulasten.

Dieses sei in seinem tatsächlichen Verhalten vor der Verletzung begründet. Vor dem Betreten der Pferdebox sei für den Kläger erkennbar gewesen, dass er in der zu kleinen Pferdebox an jeder Stelle vom Huf der – offensichtlich erregten – Stute habe getroffen werden können. Der Schaden wäre durch zumutbares Trennen des Fohlens vom Muttertier mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermieden worden.

In dieser Situation habe der Kläger die Pferdebox nicht betreten dürfen. Es habe mit einer Reaktion der Stute in einer so kurzen Zeitspanne gerechnet werden müssen, die keine menschliche Abwehrhandlung mehr zugelassen hätte. Um die beiden Pferde zu trennen, habe eine wesentlich weniger risikobehaftete Methode zur Verfügung gestanden. Die Stute und ihr Fohlen hätten durch ein Hinaus- und Wiederhineinführen beider Pferde aus und in die Pferdebox, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme einer Nachbarbox voneinander getrennt werden können, indem die Boxentür zwischen Stute und Fohlen geschlossen worden wäre. Dieses zum Trennen der Tiere geeignete Vorgehen wäre dem Kläger auch zumutbar gewesen und hätte die Gefahr einer Verletzung erheblich verringert.

Mitverschulden des Klägers wird mit Quote von 1/4 bemessen

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge – auf Seiten des Beklagten sei zu berücksichtigen, dass er die Pferde in einer zu kleinen Box gehalten und die Stute unsachgemäß mit dem Kopf vom Fohlen entfernt angebunden habe – verbleibe ein mit der Quote von ¼ zu bemessenes Mitverschulden beim Kläger.

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Susan Beaucamp

Rechtsanwältin