„Ein von einer gemeinnützigen GmbH in einer Jugendhilfeeinrichtung zum heilpädagogischen Reiten eingesetztes Pferd unterliegt nicht dem Nutztierprivileg des § 833 Satz 2 BGB.“

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 31. Januar 2018, Az. 2 U 30/15

vorgehend LG Saarbrücken, 28. April 2015, 4 O 130/14

 

Der Sachverhalt

Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, nimmt die Beklagte, bei der es sich um eine als gemeinnützig anerkannte Trägergesellschaft der Caritas handelt, auf Schadensersatz wegen eines Reitunfalls der bei ihr gesetzlich unfallversicherten Zeugin K. in Anspruch. Die Zeugin K. war aufgrund eines Honorarvertrags zweimal wöchentlich mit dem Beritt von vier Therapiepferden betraut, welche die Beklagte in der von ihr betriebenen Jugendhilfeeinrichtung hält. Die Pferde werden dort im Rahmen des Therapieangebots der Einrichtung eingesetzt, zu dem auch heilpädagogisches Reiten gehört. Bei einem Geländeausritt stürzte die Zeugin K. von dem Pferd „Hexe“, wobei sie sich eine Lendenwirbelfraktur zuzog.

Die Klägerin behauptet, das Pferd habe sich plötzlich aus nicht näher bekannten Gründen, möglicherweise aufgrund eines Geräuschs in einer Hecke, erschrocken und daraufhin gebockt. Der Zeugin K. sei es trotz jahrelanger Erfahrung im Umgang mit Pferden nicht möglich gewesen, das Pferd zu beruhigen und den Sturz zu verhindern.

Die Beklagte hat den Unfallhergang, die unfallbedingten Verletzungsfolgen sowie die Aufwendungen der Klägerin bestritten und geltend gemacht, die Zeugin K. hätte als gute und erfahrene Reiterin ein einfaches Bocken des als gutmütig und ruhig beschriebenen Pferdes beherrschen müssen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung ist die Tierhalterhaftung der Beklagten gemäß § 833 Satz 2 BGB ausgeschlossen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Pferd „Hexe“ sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Nutztier, weil die Beklagte als gemeinnützige Einrichtung nicht erwerbswirtschaftlich tätig sei, sondern nur ideelle Zwecke verfolge.

 

Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht gab der Klägerin Recht. Der Klägerin stünde ein Schadensersatzanspruch gemäß § 833 Satz 1 BGB gegen die Beklagte als Halterin des Pferdes „Hexe“ zu.

Nach § 833 Satz 1 BGB ist, sofern der Körper oder die Gesundheit eines Menschen durch ein Tier verletzt wird, derjenige, welcher das Tier hält, zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Die Tierhalterhaftung erfordert die Verwirklichung einer typischen Tiergefahr, die sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres äußert. Diese Voraussetzung sei erfüllt. Es sei zu dem Sturz gekommen als „Hexe“ aus dem Schritt heraus plötzlich einen (einzigen) „riesengroßen Satz“ machte und die Reiterin über die rechte Schulter abwarf. Es komme nicht darauf an, ob die Zeugin K., das Pferd möglicherweise hätte beruhigen und dadurch den Sturz hätte verhindern können. Dies könne allenfalls ein Mitverschulden der Reiterin begründen, nicht aber dazu führen, dass sich eine spezifische Tiergefahr nicht verwirklicht habe.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei die Haftung der Beklagten nicht gemäß § 833 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Danach tritt die Ersatzpflicht des Tierhalters nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist (Nutztier), und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.

Für die Einordnung als so genanntes „Nutztier“ i.S. des § 833 Satz 2 BGB sei auf die allgemeine Zweckbestimmung abzustellen, die dem Tier von seinem Halter gegeben worden ist. Dieser Zweck müsse allerdings stets ein wirtschaftlicher sein. Tiere, die aus Liebhaberei oder zu sonstigen ideellen Zwecken wie zum Beispiel zur Ausübung des Reitsports gehalten werden, ohne dass der Halter aus ihrer Nutzung  seinen Erwerb bezieht, seien von der Vorschrift nicht erfasst. Unter Erwerbstätigkeit i.S. des § 833 Satz 2 BGB ist dabei jede Tätigkeit zu verstehen, die auf Gewinnerzielung gerichtet ist.

Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die von einem nicht wirtschaftlichen Verein (§ 21 BGB) zur Erfüllung seiner satzungsgemäßen Aufgaben zur Reittherapie von Behinderten gehaltenen Pferde – ebenso wie die eines nicht wirtschaftlichen allgemeinen Reitsportvereins – nicht unter das Nutztierprivileg des § 833 Satz 2 BGB fallen. Einem Reitverein, der sich der Reittherapie von Behinderten widmet, steht daher die Entlastungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift nur dann zu, wenn er seine Reitpferde überwiegend oder jedenfalls in einem so erheblichen Umfang wie ein wirtschaftliches Unternehmen zu Erwerbszwecken nutzt, was allerdings wiederum mit der satzungsmäßig ideellen Zweckbestimmung des Vereins nicht mehr im Einklang stünde (BGH, aaO).

Diese Grundsätze seien auf den hier gegebenen Fall, in dem die Pferde von einer als gemeinnützig anerkannten GmbH im Rahmen des Angebots einer von dieser betriebenen Jugendhilfeeinrichtung zum heilpädagogischen Reiten eingesetzt werden, übertragbar mit der Folge, dass die Beklagte sich nicht auf § 833 Satz 2 BGB berufen könne. Eine Gesellschaft erlangt durch die Anerkennung als gemeinnützige Körperschaft steuerrechtlichen Sonderstatus. Die Steuervergünstigung ist daran geknüpft, dass die Körperschaft ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgt. Kennzeichnend für alle drei steuerbegünstigten Zwecke ist das Merkmal der Selbstlosigkeit. Es setzt gemäß unter anderem voraus, dass nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke – zum Beispiel gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke – verfolgt werden.

Die in der Jugendhilfeeinrichtung gehaltenen Therapiepferde dienen auch nicht dem Beruf der Beklagten. Ein von einer juristischen Person – wie der Beklagten – gehaltenes Tier könne grundsätzlich unter die Bestimmung des § 833 Satz 2 BGB fallen, wenn es dazu bestimmt ist, dem Aufgabenbereich der juristischen Person und damit deren „Beruf“ zu dienen. Eine Abhängigkeit der Beklagten von Haltung von Therapiepferden lasse sich jedoch nicht feststellen. Wie aus der Angebotsbeschreibung hervorginge, handele es sich bei dem therapeutischen Reiten um ein (freiwilliges) gruppenergänzendes Angebot, das neben andere Therapieangebote trete.

Der Tierhalterhaftung der Beklagten stünden auch keine sonstigen Gründe entgegen.

Die Zeugin K. hat den Ausritt nicht auf eigene Gefahr unternommen. Eine vollständige Freistellung des Tierhalters von der Haftung nach § 833 Satz 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr komme allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. Ein genereller Ausschluss der Tierhalterhaftung sowohl unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr als auch unter Schutzzweckerwägungen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedenfalls für Fallgestaltungen abgelehnt worden, in denen sich Personen der Tiergefahr aus beruflichen Gründen vorübergehend aussetzen, ohne dabei die vollständige Herrschaft über das Tier zu übernehmen. Davon sei auch hier auszugehen, da die Zeugin K. zum Zeitpunkt des Sturzes die von der Beklagten gehaltenen Therapiepferde lediglich zweimal wöchentlich im Rahmen einer auf Honorarbasis ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit beritt.

Im Übrigen könne von einem Handeln auf eigene Gefahr im Rechtssinn nur dann die Rede sein, wenn sich jemand in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt, obwohl er die besonderen Umstände kennt, die für ihn eine konkrete Gefahrenlage begründen, ohne dass dafür ein triftiger – rechtlicher, beruflicher oder sittlicher – Grund vorliegt. Daran fehle es hier. Bei dem Pferd „Hexe“ handele es sich um ein ruhiges und gutmütiges Tier. Allein der Umstand, dass die Zeugin es bei ihren Ausritten im freien Gelände bewegte, sei für sich genommen nicht ausreichend für die Annahme, bei ihrem Umgang mit dem Pferd habe ein gesteigertes Gefährdungspotenzial bestanden. Auch ein vertraglicher Haftungsausschluss liege nicht vor. Er bedürfe im Allgemeinen einer eindeutigen Abrede und sei in dem zwischen der Beklagten und der Zeugin K. geschlossenen Honorarvertrag nicht enthalten.

Für ein die Haftung minderndes Mitverschulden gäbe es keine Anhaltspunkte.

 

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Rechtsanwältin Susan Beaucamp

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