OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 24.05.2013 – 4 U 162/1
Sachverhalt:
Die Zeugin A erhielt vom Beklagten in einer Halle Reitunterricht. Dabei ritt sie auf dem 18-jährigen Wallach „X“ im Trab auf der Kreisbahn in der einen Hälfte der Halle. Der Beklagte befand sich in der Mitte der Kreisbahn. Gleichzeitig war die Frau (Zeugin C) des Beklagten in der anderen Hälfte der Reithalle mit der Führung einer Stute beschäftigt, die in Begleitung ihres frei laufenden Fohlens war. Die Stute und das Fohlen verließen dann die Halle durch ein Tor, das sich auf der Querseite der Hallenhälfte befand. Dazu durchquerten sie den Zirkel, in dem die Zeugin A weiter trabte. Im Zusammenhang damit – und hier gehen die Schilderungen der Parteien auseinander – änderte der Wallach abrupt seine Richtung. Er verließ den Zirkel linksum und die Zeugin A stürzte dabei auf der rechten Seite von dem Pferd. Dabei erlitt sie einen Bruch des ersten Lendenwirbels. Das klagende Land (Kläger) verlangte Schadensersatz für die Verletzungen der Zeugin A, die als Finanzbeamte für das Land arbeitete.
Entscheidung des Landgerichts:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass eine Haftung nach § 833 S.2 BGB ausgeschlossen sei, weil der Beklagte sich exkulpiert habe. Der Schaden der Klägerin sei nicht das Ergebnis einer Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten.
Es sei natürlich zu berücksichtigen gewesen, dass der Beklagte ein Fohlen in derselben Halle frei herumlaufen gelassen habe. Damit wäre auch eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zu begründen, wenn diese Tatsache ursächlich für das Verhalten des Wallachs gewesen wäre. Jedoch habe sich das Fohlen ganz unstrittig die ganze Zeit an der Seite der Mutterstute befunden. Das Verlassen der Halle durch Mutterstute und Fohlen sei zwar mit einer erhöhten Gefährdung verbunden gewesen und hätte Vorsichtsmaßnahmen seitens des Beklagten notwendig gemacht. Es sei aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unbeachtlich, dass die Vorsichtsmaßnahmen unterlassen worden seien. Der Wallach sei nämlich erst aus dem Zirkel ausgebrochen, als beide Pferde die Halle verlassen und die Zeugin C das Tor geschlossen hatte. Für das Gericht fehle dadurch der Zusammenhang zwischen dem Ausbrechen des Wallachs und den anderen beiden Pferden. Die erhöhte Sorgfaltspflicht des Beklagten bestünde nicht mehr, als die Mutterstute mit ihrem Fohlen die Halle verlassen hatte.
Berufung:
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine Klage weiter verfolgt. Seiner Auffassung nach habe das Landgericht die Tatsachen nicht ordnungsgemäß festgestellt. Es habe beim Ausbrechen des Wallachs Sichtkontakt zu den beiden anderen Pferden gegeben. Die erhöhte Sorgfaltspflicht habe somit nicht geendet. Vielmehr hätte der Beklagte einschreiten müssen, indem er entweder das Anhalten veranlasst oder selbst zum Zügel greift.
Demgegenüber verteidigt der Beklagte das angefochtene Urteil. Das Verlassen sei ein „normaler Vorgang“. Eine Reaktion des erfahrenen Wallachs auf das Herausführen der Stute sei zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar gewesen. Die Richtungsänderung sei nur marginal gewesen und hätte von einem erfahrenen Reiter ohne Sturz bewältigt werden können.
Entscheidung des Berufungsgerichts:
Das Berufungsgericht hat sich zur besseren Aufklärung der Situation einen Pferdewirtschaftsmeister und Reitlehrer herangezogen und kam zu dem Ergebnis, dass die Berufung der Klägerin keinen Erfolg hat. Ihr steht kein Schadensersatzanspruch aus § 833 S.2 BGB zu, weil der Beklagte beweisen konnte, dass die Verletzung nicht auf der Sorgfaltspflichtverletzung basiert. Aus demselben Grund besteht auch kein Schadensersatzanspruch aus dem Reitunterrichtsvertrag nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB oder aus § 823 Abs. 1 BGB.
Wie das Landgericht bereits ausgearbeitet hat, könne es nach Ansicht der Berufungsinstanz dahinstehen, ob das freie Herumlaufen-Lassen eines Fohlens bereits eine Sorgfaltspflichtverletzung darstelle. Dieses Verhalten sei nämlich nicht ursächlich für den Sturz der Zeugin A. Zum einen sei das Tier ständig „bei Fuß“ gegangen und zum anderen habe der Wallach in keiner Weise auf die Mutterstute samt Fohlen bis zu deren Verlassen der Halle reagiert.
Der Beklagte habe allerdings seine Sorgfaltspflichten als Reitlehrer verletzt, indem er die Reitschülerin in der Zeit als Mutterstute und Fohlen das Zirkel durchquerten, weiter habe traben lassen. Er hätte sie laut dargelegter Sachkunde zum weiterreiten im Schritt auffordern müssen, weil es immer mal vorkommen könne, dass ein im Zirkel gehendes Pferd eine plötzliche Richtungsänderung vollziehe, wenn andere Tiere seinen Blickwinkel kreuzen.
Letztlich komme es aber auch darauf nicht an, weil der Unfall der Zeugin A auch bei Anwendung dieser Sorgfaltspflicht eingetreten wäre, so das Berufungsgericht. Das Landgericht (Erstinstanz) hat zwar den Zusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung des Reitlehrers und dem Sturz verneint, weil unklar sei, ob die Mutterstute und ihr Fohlen das Ausbrechen des Wallachs verursacht hätten. Das Berufungsgericht hingegen vertritt die Auffassung, dass die Mutterstute und ihr Fohlen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für das Ausbrechen des Wallachs mitverantwortlich seien.
Dem stehe nicht entgegen, dass das Tor bereits geschlossen war, zumal das Tor mit einer Höhe von 1,40 m so niedrig war, dass die beiden noch gesehen werden konnten. Außerdem könnten laut Sachverständiger Pferde andere Artgenossen ohnehin aufgrund ihrer Sinneswahrnehmungen intensiver spüren als Menschen. Es gebe auch keinerlei Anzeichen, die darauf hindeuten, dass die Richtungsänderung einen anderen Grund gehabt haben könne. Demnach hätten die Mutterstute und ihr Fohlen den Ausbruch des Wallachs bedingt.
Nichtsdestotrotz fehle es an einem zurechenbaren Kausalzusammenhang zwischen dem Unterlassen des Beklagten, die Zeugin A im Schritt weiterreiten zu lassen, und dem eingetretenen Schaden. Denn wäre die Beklagte in dem Moment, in dem die Mutterstute und ihr Fohlen die Halle die Halle verließen, langsamer geritten, so hätte sie spätestens als sie draußen waren, wieder beschleunigt. Die Richtungsänderung wäre dann also auch zu einem Zeitpunkt passiert, indem das Pferd bereits schneller wäre. Es wäre demnach so oder so zu einem Sturz gekommen. Der Beklagte berufe sich damit zu Recht auf ein rechtmäßiges, sorgfaltsgemäßes Alternativverhalten, bei dem der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gleichfalls eingetreten wäre. „Das vollständige Verlassen der Halle und das Schließen des Tores markieren (…) eine ausreichende, eindeutige und praktisch handhabbare zeitliche Grenze für die Vorsichtsmaßregeln (…).“
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Rechtsanwältin Susan Beaucamp
Foto: Fotalia